Bis bald. Roman by Markus Werner

Bis bald. Roman by Markus Werner

Autor:Markus Werner [Werner, Markus]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104012629
Herausgeber: Fischer e-books
veröffentlicht: 2015-10-25T16:00:00+00:00


12

Meine Schwester – ich hoffe, du erinnerst dich – holte mich am Flughafen ab, und wenn dich meine Abschweifungen verwirren oder auch nur befremden sollten, so würde ich es umso mehr verstehen, als sie mich selbst verwirren und befremden, so wie mich alles verwirrt und befremdet, was mir, ohne daß ich es mit meiner sonstigen Zielstrebigkeit in Einklang bringen könnte, einfach unterläuft, obwohl es gerade mir, dem Selbstbeherrschung in die Wiege gelegt worden ist, nicht unterlaufen dürfte; nach Auskunft meiner Mutter bin ich zum Beispiel früher trocken gewesen als alle anderen Kinder und habe auch bedeutend seltener gequengelt und gebrüllt, aber daß ich jetzt auch noch die Kindheit auslote, brauchst du schon darum nicht zu befürchten, weil meine Schnur dafür zu kurz ist. Ich umarmte die Schwester der Spur nach, ich fühlte mich klebrig und glaubte aus dem Mund zu riechen. Sie schaute mich, die Hände an meinen Schultern, die Arme gestreckt, um den zum Schauen nötigen Abstand zu haben, eine Weile lang an, ich kam mir gegenständlich vor, und zugleich war mir, als blickte ich in einen Spiegel, denn am Gesicht meiner Schwester konnte ich ablesen, wie meines aussah. Was machst du für Sachen, sagte sie nur, und auf der Fahrt nach Hause nahm sie auf meine Erschöpfung Rücksicht und fragte wenig. Sie erzählte, daß Mutter wieder einmal depressiv sei – das ›wieder einmal‹ fand ich ein wenig lieblos, obwohl es sachlich richtig war – und daß sie Mutter aus diesem Grund geschont habe, die Mutter wisse also nicht, was mir zugestoßen sei, sie, die Schwester, habe es ihr auch dann nicht sagen wollen, als sie sich über das Ausbleiben einer Ansichtskarte von mir beklagt habe. Ich billigte die Zurückhaltung meiner Schwester, und ich sagte, so als müßte ich mich vor der Mutter entschuldigen, daß ich überhaupt niemandem eine Ansichtskarte geschickt hätte, das Schreiben von Ansichtskarten falle mir immer schwer, einerseits hielte ich eine bloße Grußformel für schäbiger als gar nichts, andrerseits widerspreche alles, was über eine schäbige Grußformel hinausgehe, dem ungeschützten Wesen einer Ansichtskarte. Was geschieht jetzt? fragte die Schwester, um zu zeigen, daß es nach ihrer Meinung Dringlicheres gab als meine Ansichtskarten. Jetzt fahren wir nach Hause, sagte ich, morgen ist Sonntag, morgen ruhe ich mich aus, am Montag gehe ich zum Hausarzt, dann sieht man weiter. – Ich könnte über das Wochenende bleiben, sagte die Schwester, du brauchst doch so etwas wie Pflege. Ich sagte, da ich das endliche Alleinsein, auf das ich mich schon während des Fluges gefreut hatte, gefährdet sah, daß ihr Angebot lieb sei, daß ich aber keinerlei Pflege und Beistand benötigte und ohnehin nur im Sinn hätte, auf dem Sofa zu liegen und Musik zu hören. Es würde mir aber keine Umstände machen, sagte die Schwester, und daß sie hinter meiner Abwehr Uneigennützigkeit vermutete, beschämte mich.

Ich stand noch gebückt in der Garderobe, schwer atmend und bemüht, einen Knoten im Schuhband zu lösen, als ich einen kleinen Schrei aus der Küche hörte. Was ist? rief ich. Ein Vogel, rief die Schwester. Ich ging



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